Prüfungsprotokoll "Angewandte
Lachwissenschaft"
Von Rainer Kohlmayer.
GRINSLING. Kommense nur rein, Müller, da - nehmense ma
Platz. Also -- ich erzähl Ihnen erst ma was, dann sind Sie
an der Reihe. - Also dann - ein zerstreuter Professor kommt
zum Frühstück, seine Frau sitzt schon da, jetzt aufgepaßt -
also was macht er : er nimmt den Kaffeelöffel in die Hand,
gibt seiner Frau einen Kuß und klopft mit dem Löffel auf
das Frühstücksei.
MÜLLER. ???
GRINSLING. Na - wie reagiert man da -? Jetzt seien Sie doch
nicht so begriffsstutzig!
MÜLLER. Hahahahahahaha!!
GRINSLING. Klarer Fall, na also! --- Jetzt sagen Sie mir
mal, Müller, weshalb lachen Sie?
MÜLLER. Weil Sie mir einen Witz erzählt haben, Herr
Professor.
GRINSLING. Stimmt, aber meine Frage bohrt tiefer, mich
interessiert hier weniger das Ergebnis, sagen Sie mir doch
was über den Prozeß - wie kommen Sie vom Witz zum Lachen?
MÜLLER. Ach so, na ja, also der Witz ist sone Art Input...
GRINSLING. "Sone Art Input" - Mann, Sie reden ja ein
Deutsch...
MÜLLER. Der Witz ist ein Input, den mein Gehirn
entschlüsselt bzw. dekodiert, dabei findet ein Transfer
statt, und zwar wird das physische, also akustisch-auditive
Signal bzw. die Signalmenge in ein psychologisches
umgewandelt, der Kode wird von der in mir gespeicherten
Kompetenz abgetastet, dabei stellt sich heraus, daß der
Witz eine Lücke enthält, sone Art logischen Sprung...
GRINSLING. Schon wieder "sone Art" - doch bitte ja keine
Phrasendrescherei...
MÜLLER. Es ist aber auch möglich, daß meine Kompetenz eine
Lücke enthält, jedenfalls kommt es zu einer Stockung oder
Störung der Dekodierung, die nun ihrerseits in ein
physisches...
GRINSLING. Genauer!
MÜLLER. ... in ein, glaub ich, lingual-artikulatorisches
Signal zurückverwandelt wird und als Output "Lachen"
produziert wird, eigentlich ein
artikulatorisch-lingualer...
GRINSLING. Lingual-artikulatorischer!
MÜLLER. ... als lingual-artikulatorischer Leerlauf -
Entschuldigung, jetzt hab ich den Satz...
GRINSLING. Nicht so schlimm. Das Wesentliche haben Sie
gesagt, wenn auch stellenweise etwas - etwas -
volkstümlich. Gehen wir nun doch etwas ins Detail. Also ---
Sie haben doch vorhin auf meine Geschichte mit "hahahahaha"
reagiert. Stimmts?
MÜLLER. Ja, "hahahahaha".
GRINSLING. Hier meine Frage : weshalb "hahahahaha", weshalb
nicht "hohohoho", "hihihihihi" oder ähnlich...?
MÜLLER. Das sind morphophonemische Varianten des
Morphophonems /Lachen/, wenn es überhaupt ein Morphophonem
und nicht vielmehr ein Satz oder Sprechakt oder gar ein
Text ist...
GRINSLING. Ganz recht, siehe ZWERGHAHNs Typologieprobleme.
MÜLLER. Jedenfalls handelt es sich um Varianten auf der
Performanzebene, nicht auf Kompetenzebene. Alle Menschen
lachen praktisch gleich, nur die oberflächliche
Realisierung ist verschieden; entsprechend Kontext,
Situation, Einkommen usw. treten Alloformen wie "Kichern",
"Schmunzeln" usw. auf; die Sozioridikulistik hat z.B.
gezeigt, daß zwischen dem breitmauligen, schallenden
Gelächter und dem dünnlippigen, näselnden Gekicher eine
sozial bedingte Lachbarriere besteht...
GRINSLING. Die Lachbarrierentheorie ist doch schon etwas
überholt, aber ansonsten sehr schön, sehr schön. - Wollen
wir mal --- also eine ausgesprochene Denkfrage, geht ins
Fundamentale, etwas provokatorisch : also es wird oft
behauptet, die Angewandte Lachwissenschaft sei zwar
außerordentlich kompliziert, aber auch außerordentlich
überflüssig. Was haben Sie dazu zu sagen?
MÜLLER. Das sind eigentlich zwei Fragen, Herr Professor.
GRINSLING. Richtig.
MÜLLER. Zunächst was das Komplizierte angeht. Das Lachen
selbst ist eine sehr komplizierte Angelegenheit, man
braucht nur die VOLENSsche Faktoranalyse ansehen. Nach
VOLENS ist das Lachen neben dem Übersetzen die
komplizierteste Tätigkeit des menschlichen Gehirns
überhaupt, folglich ist auch die Lachwissenschaft
kompliziert.
GRINSLING. Sehr schön.
MÜLLER. Was das Überflüssige betrifft, so gibt es
sicherlich gewichtige Argumente, die dafür sprechen, daß
man auch schon vor der Etablierung der Lachwissenschaft
gelacht hat, verifizieren läßt sich das allerdings nicht,
da die repräsentativen Tondokumente fehlen. Außerdem ist
doch immer schon ein vortheoretisches Theorieverständnis
anzusetzen, sodaß auch früher schon die Spontaneität des
Lachens sicher nicht in völlig theorieloser Form vonstatten
ging.
GRINSLING. Gewiß. Aber das wichtigste Argument?
MÜLLER. ... ist natürlich der Fortschrittsgedanke
schlechthin.
GRINSLING. Aha.
MÜLLER. Die Wissenschaft bedeutet der Praxis gegenüber
immer einen Fortschritt. Versimplifiziert ausgedrückt : man
hat sicher auch früher schon gegessen, doch die
Lebensmittelwissenschaft brachte einen Fortschritt, man hat
früher schon Wein produziert, doch die Chemie brachte einen
Fortschritt, man hat früher schon übersetzt, doch die
Übersetzungswissenschaft brachte einen Fortschritt, man hat
auch früher Kriege geführt, doch die Physik...
GRINSLING. Sehr schön, Müller, sehr schön...
MÜLLER. Man hat sicher früher schon gelacht, aber die
Lachwissenschaft, die Angewandte Lachwissenschaft, hat das
Lachen transparent, operationalisierbar, didaktisierbar
gemacht.
GRINSLING. Ausgezeichnet, wirklich gut. - Vielleicht aber
doch noch eine Frage, die vielleicht etwas weniger
optimistische - eh - Problemhorizonte - eh - antippt -
aufreißt. Grob gesagt - es gibt doch noch zahlreiche
ungelöste Fragen in unserer jungen Wissenschaft...
MÜLLER. Selbstverständlich. Man darf geradezu behaupten,
daß die Fülle ungelöster Fragen die Lachwissenschaft als
dynamische, zukunftsorientierte Wissenschaft ausweist. Da
ist z.B. das Computerproblem.
GRINSLING. Richtig. Wie stehts damit?
MÜLLER. Obwohl man schon recht lange mit Computern
arbeitet, sind hier kaum Erfolge zu verzeichnen. Der
Spontaneitätsrest im humanmenschlichen Lachen ist, trotz
intensiver lachwissenschaftlicher Forschung, noch nicht
total faktorisiert und verfügbar. SCHMUNZFINK behauptete
zwar 1967...
GRINSLING. 1968!
MÜLLER. ... 1968, sein Computer JOKEY hätte einmal über
einen besonders krassen obszönen Witz geschmunzelt,
Kontrolluntersuchungen mit GIGGLY und PIGGY, Berkeley,
blieben jedoch negativ. Der australische Ridikologe GUFFAW
vertritt die Ansicht, SCHMUNZFINK selbst hätte
geschmunzelt, es handle sich um einen Fall projektiver
Verdrängung.
GRINSLING. Ganz hervorragend, Müller. - Gibt es aber doch
nicht auch kleine Erfolge auf diesem - in diesem -
innerhalb dieses Problemkomplexes, die vielleicht doch zu
einiger Hoffnung berechtigen? Wenn auch nur ansatzweise...?
MÜLLER. Meinen Sie damit die mathematischen Witze von
JOYBOY und HORSERADISH?
GRINSLING. Genau.
MÜLLER. Ja, also JOYBOY und HORSERADISH ist es, ich glaube
77, gelungen, einen Computer zu konstruieren, der auf
mathematische Scherze mit symbolischem Naserümpfen und
vernehmlichem Kichern reagiert. Besonders vernehmlich
kichert ALBERT II bei der Proposition "2 + 2 = 97", während
er bei "1 + 1 = 5" nur die Nase rümpft.
GRINSLING. Immerhin. Sehr gut. - Wissen Sie auch etwas über
den auto - eh - die - eh - eigene Produktion ALBERTs?
MÜLLER. Also, wenn ich das noch richtig - eh - ich glaube,
ansatzweise, ALBERT hat selbst auch schon einige
mathematische Kridiku - eh - Dikiku - Kikeriki - ...
GRINSLING. Ridikulismen.
MÜLLER. Ridikulismen produziert...
GRINSLING. Völlig richtig.
MÜLLER. Ja, jetzt fällt mirs wieder ein, besonders bekannt
ist "2 - 2 = 27", SCHEIBLI und SCHNITTKAS haben den Fall
analysiert, doch hat ALBERT auf dem lachwissenschaftlichen
Kolloquium 1980 damit bei den anwesenden Ridikologen weder
Naserümpfen noch Kichern hervorrufen können...
GRINSLING. Jaja, bedauerlicher Rückschlag.
MÜLLER. Die Lösung, die sich jedoch andeutet...
GRINSLING. Ah - das wissen Sie auch? Tüchtig...
MÜLLER. Die Lösung könnte in der Interdisziplinarität
liegen, eigentlich in einer stärkeren Orientierung an
physikalisch-naturwissenschaftlichen Methoden...
GRINSLING. Gutgut. Weiter?
MÜLLER. Ja, der Computer könnte also gleichzeitig mit dem
lächerlichen Output Niespulver und Kitzeleffekte
produzieren.
GRINSLING. Eben. Das ist nun allerdings ein rein
technisches Problem, das die lachwissenschaftliche
Grundlagenforschung nicht mehr konkret und direkt tangiert.
--- Herr Müller, ich bin mit Ihnen sehr zufrieden,
wirklich. Weiter so, wer weiß... Also dann --- der nächste
bitte...