Die folgenden Texte wurden von
Mitgliedern meines Kurses für Kreatives Schreiben verfasst.
Die Aufgabe bestand darin, eine zur Tragödie
hochstilisierte und literarisierte Nachricht der
BILD-Zeitung in eine Kurz- oder Kürzestgeschichte
umzuwandeln. Inhaltliche Veränderungen jeder Art waren aber
erlaubt.
Die traurige BILD-Nachricht vom 9. März 1990 auf Seite 1
unten rechts, mit riesiger Schlagzeile, lautete:
Brautpaar sprang angekettet in den Tod
Von J. Schwarz u. H. Schulz
Rodez (Südfrankreich) - Es war ihre
Hochzeitsreise - und sie wählten den Tod: Mit einer Kette
an den Handgelenken aneinandergefesselt, stürzten sich
Walter Berger (41) und Nadine (30) von einem 30 Meter hohen
Felsen in die Tiefe. Bauarbeiter entdeckten am Samstag die
zerschmetterten Körper. Wahrscheinlicher Hintergrund der
Tragödie: Laut Einwohnermeldeamt Berlin-Kreuzberg war
Walter Berger bereits mit einer anderen Frau verheiratet.
(Weiter S. 6)
(S. 6 erneute Schlagzeile, danach: Fortsetzung von Seite 1)
Mit ihrem schwarzen Mercedes-Kombi (B - DP 7154) waren der
Kirchenmusiker und Dirigent Walter Berger und die blonde
Nadine Anfang März nach Cantobre aufgebrochen.
Das 15-Seelen-Nest im Departement Aveyron mit der
romanischen Kirche liegt auf einer Hochebene am Rande des
romantisch-zerklüfteten Cevenne-Nationalpark. Ihr
Ferienquartier hatten sie von einem Duisburger
Diplom-Volkswirt und seiner Frau gemietet - fünf Zimmer.
Die Tochter des Ehepaares, eine Lufthansa-Stewardess, kennt
Nadine, hatte den Kontakt vermittelt.
Dorfbewohner berichten: "Die beiden gaben sich sehr
verliebt, erzählten, sie seien in den Flitterwochen.. Sie
war blond, er war schwarz." Eine Nachbarin: "Mir wurde
gesagt, sie hätten am 28. Februar geheiratet." Allerdings:
"Manchmal wirkte das Paar auch richtig traurig." Oft gingen
die beiden in die romanische Kirche.
Am 11. März fanden Nachbarn eine unaufgeräumte Wohnung, ein
zerwühltes Bett, unleserliche Papiere. Von dem Paar keine
Spur. Erst am Samstag kam es zu der grauenhaften Entdeckung
unterhalb des Felsens.