Von Manon Scheffel.
Der bärtige Deutsche fuhr mit seinem
Mercedes viel zu schnell über das Kopfsteinpflaster der
engen Gassen von Cantobre. An jeder Kreuzung quietschten
die Bremsen, einzelne Fußgänger drängten sich erschreckt an
die Hauswände, als die riesige Karosse mit Berliner
Kennzeichen vorbei preschte. Schimpfend schauten sie dem
Eindringling nach, der für einen Moment lang die
spätsommerliche Ruhe des kleinen südfranzösischen
Städtchens gestört hatte.
Am Ende des Dorfes bog der Wagen auf den Weg zur Küste ab.
Mein Haus liegt an diesem Weg. Schon seit Jahren wohne ich
hier alleine vor den Toren von Cantobre. Gesellschaft
leisteten mir damals meine beiden Hunde, Cäsar und
Cleopatra, zwei wunderschöne schwarze Riesenschnauzer der
Art, wie man sie nur hier in Südfrankreich züchtet. Mein
ganzer Stolz - die besten Wachhunde, die man sich
vorstellen konnte, und außerdem ein unzertrennliches
Gespann. Der Weg zur Küste wird äußerst selten befahren.
Als der Mercedes sich näherte, rannten Cäsar und Cleopatra
übermütig und neugierig, laut bellend auf ihn zu. Der
Fahrer hatte noch einmal beschleunigt. Staubwolken wurden
von den Reifen aufgeworfen. Als der Fahrer die Hunde
erblickte, versuchte er mit kreischenden Bremsen den Wagen
anzuhalten. Zu spät. Er erfasste Cleopatra und überrollte
sie.
Als ich hinzukam, lag sie tot am Boden. Ich war gelähmt vor
Schreck. Die beiden stiegen aus ihrem Wagen aus.Cäsar
bellte und knurrte sie verstört an. Der Deutsche warf mir
ein paar wütende Worte in seiner unfreundlichen
Muttersprache zu, die ich nicht verstand, und begutachtete
den Schaden an seinem Auto. Seine blonde Begleiterin stand,
fast hysterisch heulend, am Wegrand und zitterte. Vor
Entsetzen war ich nicht in der Lage, klar zu denken.
Der unsympathische, circa fünfzigjährige Deutsche, der,
wäre er früher geboren, sicherlich einen guten Nazi
abgegeben hätte, und die blonde Frau, die wohl nur halb so
jung war wie er, hatten sich im Haus von Charlotte
Bonnefond niedergelassen. Charlotte hatte das kleine
Landhaus in unmittelbarer Nähe der Steilküste von ihren
Eltern geerbt. Da sie jedoch einen deutschen Arzt
geheiratet hatte, lebte sie in Deutschland. Früher
verbrachte Charlotte mit ihrem Mann und den zwei Töchtern
den Sommer in ihrem Heimatort Cantobre. Charlottes Mann,
Werner Hartmann, war kein typischer Deutscher. Er war ein
ruhiger, einfühlsamer Mensch, und durch seine
ausgezeichneten Französischkenntnisse war er im Dorf sehr
schnell akzeptiert worden. Seit die Töchter erwachsen
waren, wurden die Besuche der Hartmanns seltener. Hin und
wieder überließen sie das Haus Bekannten aus Deutschland..
Die Freunde der Hartmanns wurden im Dorf eigentlich immer
sehr freundlich aufgenommen, doch der jetzige Besucher
hatte sich durch sein rücksichtsloses Verhalten rasch die
Gunst der Leute verspielt. Man mied das deutsche Pärchen,
das ohnehin wohl nicht lange bleiben würde. Man sah die
beiden von ferne, als sie lange Spaziergänge auf den
Klippen machten. Nach drei Tagen wurde "Er" wieder in der
Stadt in der Autowerkstatt gesichtet. Der Scheinwerfer
wurde repariert, die Delle ausgebeult. Und dann raste er
wieder mit der Karosse zurück zum Ferienhaus auf den
Klippen. Jacques, der Automechaniker, wusste zu berichten,
die beiden seien auf Hochzeitsreise.
Meine zweite Begegnung mit den Deutschen fand während eines
Spazierganges entlang der Steilküste statt. Der Himmel war
bedeckt, der Wind fegte vom Meer her übers Land, und es
herrschte eine beinahe herbstliche Atmosphäre. Cäsar
brauchte nun meine volle Zuwendung. Während die beiden
Hunde sonst immer gemeinsam durch die Landschaft gestrichen
waren, bestand er nun darauf, dass ich ihn begleitete. Wir
brauchten beide diese gemeinsamen Spaziergänge. Die
Einwohner von Cantobre gehören in diese rauhe
Küstenlandschaft, sind gewissermaßen eins mit ihr. Besucher
fallen immer sofort auf. Jogginganzüge und dergleichen. Na,
Sie wissen schon. Schon von weitem konnte ich die beiden
Deutschen an ihren Jacken in der Ferne erkennen. Ich wollte
umkehren, doch Cäsar war bereits weit voraus und drehte
sich nicht mehr nach mir um. Ich näherte mich langsam auf
dem schmalen Pfad, ohne dass die beiden mich wahr nahmen.
In der Tiefe rauschte das Meer. Wellen zerschellten
knallend an den dreißig Meter hohen Klippen. Cäsar trabte
zielstrebig durch die pfeifenden Windböen voran. Ich
beobachtete, mit etwas Bitterkeit, wie der Mann die Frau in
den Arm nahm und küsste. Sein heller Trenchcoat flatterte
im Wind. Er legte ihr seinen Seidenschal um den Hals und
zog sie an sich. Lachend löste sie sich aus der Umarmung.
Doch dabei verfing sich ihr Armreif in der Manschette
seines Mantels. Sie lachten und scherzten weiter,
ausgelassen, und versuchten, den Armreif frei zu bekommen.
Der Wind war inzwischen noch stärker geworden. Durch das
kreischende Gelächter war Cäsar auf die beiden aufmerksam
geworden. Mit ein paar Sätzen war er bei ihnen, sprang an
den beiden hoch. Die hysterische Blonde geriet sofort in
Panik, kreischte auf, setzte einen Schritt zurück, rutschte
aus oder stolperte und fiel rücklings in Richtung Abgrund,
wie in Zeitlupe. Er taumelte, versuchte sie zu halten,
merkte, dass sie ihm entglitt, und wurde durch einen
plötzlichen Ruck an seinem rechten Mantelärmel mitgerissen
- fallend, fliegend, vornüber, nach unten. Cäsar stand auf
den Klippen und schaute in die Tiefe. Sie waren
verschwunden.
Auf dem Heimweg ging ich dann bei der Polizei vorbei, um
den Selbstmord zu melden.